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Filmförderungsgesetz 2017: Zugeständnisse an den Dokumentarfilm
Vom 23.11.2016
from 23.11.2016
Dokumentarfilm-Besucher in nicht-gewerblichen Abspielstätten werden auch künftig bei der Berechnung der so genannten „Referenzpunkte“ berücksichtigt. Die Beibehaltung dieser Regelung im neuen Filmförderungsgesetz belohnt die intensive politische Überzeugungsarbeit, die von der AG Dokumentarfilm/AG DOK – in den zurückliegenden Monaten geleistet wurde.
Obwohl die Anerkennung nicht-gewerblicher Besucherzahlen bereits aus dem Gesetzentwurf gestrichen war, wurde sie auf Beschluss des Bundestages wieder aufgenommen, vor allem die filmpolitischen Sprecher der Koalitionsfraktionen, Marco Wanderwitz (CDU) und Burkhard Blienert (SPD), aber auch Harald Petzold (Linke) und Tabea Rößner (Grüne) hatten sich bereits im Vorfeld der Bundestagsberatung für den entsprechenden Vorschlag der AG DOK ausgesprochen. Auch der Bundesrat hatte sich dafür stark gemacht.
„Im Fall einer Festpreisvermietung für die Vorführung in nichtgewerblichen Abspielstätten werden Besucherinnen und Besucher mit der Maßgabe berücksichtigt, dass die Besucherzahl zwei Dritteln der Bruttoverleiheinnahmen in Euro entspricht“, heißt es jetzt in § 77 (2) des Gesetzestextes, der am 10. November vom Parlament verabschiedet wurde. Was angesichts des 172 Paragraphen umfassenden Gesetzeswerks auf den ersten Blick als Marginalie erscheinen mag, gewinnt für die deutsche Dokumentarfilmszene zunehmend an Bedeutung. Denn im gleichen Maße, wie die reguläre Dokumentarfilmauswertung im Kino immer schwieriger wird, rückt der Bereich so genannter „nichtgewerblicher“ Vorführungen in Kirchengemeinden, Jugendzentren, Vereinen und Studentenclubs wieder in das Blickfeld moderner Auswertungsstrategien.
Eigentliches Kernstück dieser Strategien ist aus unserer Sicht natürlich die Onlineverwertung, für die wir in zahlreichen Stellungnahmen, Diskussionsbeiträgen und Presseartikeln zur FFG-Novellierung einen größeren Freiraum erkämpfen wollten. Denn wenn es stimmt, dass viele Dokumentarfilme bereits zwei Wochen nach dem Start kaum noch in den Programmen regulärer Kinos auftauchen, ist nur schwer nachzuvollziehen, weshalb sie dann ein halbes Jahr im Schrank liegen müssen, bevor sie auf anderen Verwertungsstufen ausgewertet werden können.
Um diesen offensichtlichen Widerspruch aufzulösen, fanden die beteiligten Bundestagsabgeordneten Wanderwitz und Blienert in der Schlussphase der Gesetzesberatung eine Formulierung, die in edelstem Juristendeutsch als § 55 (3) unseren Anliegen zumindest teilweise Rechnung trägt: „Für Dokumentarfilme, für deren wirtschaftlichen Erfolg eine abweichende Verwertungsfolge erforderlich ist, können auf Antrag des Herstellers im Sinne des § 41 Absatz 1 Nummer 1 in begründeten Ausnahmefällen die regelmäßigen Sperrfristen nach § 53 Absatz 2 Nummer 1 für die Bildträgerauswertung und die Auswertung durch entgeltliche Videoabrufdienste, bei denen ein Entgelt für die Nutzung des einzelnen Films zu zahlen ist, über die in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Fristen hinaus verkürzt werden oder entfallen.“
Und in der Begründung heißt es: „Durch die Regelung in Absatz 3 kann das Präsidium zulassen, dass die Auswertung von Dokumentarfilmen zeitgleich oder nur mit geringem zeitlichen Abstand im Kino sowie auf Bildträgern und über Abrufdienste, bei denen ein Entgelt für den einzelnen Film zu zahlen ist, erfolgt. Diese Regelung soll die Erprobung neuer Geschäftsmodelle im Dokumentarfilmbereich ermöglichen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass zum Beispiel bei einem Dokumentarfilm, der sich mit einem aktuellen Thema befasst, eine parallele Auswertung auf den in der Vorschrift genannten Verwertungsstufen stattfinden kann, ohne dass dies den Erfolg der Kinoauswertung schmälert. In solchen Fällen besteht kein Grund, an starren Sperrfristen festzuhalten und vielversprechende, aber nur innerhalb eines bestimmten Zeitfensters gewährleistete Verwertungsmöglichkeiten des Herstellers einzuschränken. In diesen Fällen können unter Umständen weitere Nutzerkreise erreicht werden oder die gleichen Nutzer können den Film sowohl im Kino sehen als auch auf Bildträger erwerben oder über entgeltliche Videoabrufdienste, bei denen ein Entgelt für die Nutzung des einzelnen Films zu zahlen ist, herunterladen.“
Das von der AG DOK medienwirksam propagierte „Versuchslabor Kinozukunft“ ist das leider nicht. Denn jede dieser Ausnahmegenehmigungen steht und fällt mit der Zustimmung des Kinovertreters im FFA-Präsidium – also ausgerechnet mit dem Segen der Gruppierung, die den innovativen Ideen der AG DOK in der politischen Debatte den heftigsten Widerstand entgegengesetzt hatte. Unser Vorschlag zielte bekanntlich darauf, die Sperrfristen in dem für die Filmtheaterbranche wirtschaftlich relativ unbedeutenden Dokumentarfilmsektor ganz aufzuheben, zumal das in vielen anderen Ländern inzwischen bereits so praktiziert wird. Aber dafür ist es in Deutschland vermutlich noch zu früh. Hoffen wir mal, dass es in vier Jahren, wenn über das nächste Gesetz beraten wird, nicht zu spät ist ...
Immerhin zeigt sich an dieser gleichsam „in letzter Minute“ eingefügten Gesetzesergänzung, dass unsere Argumentation nicht ohne Wirkung geblieben ist. Mit der zitierten Formulierung hat sich die Tür zu dem von uns gewünschten Experimentierfeld wenigstens einen Spalt breit geöffnet, jetzt kommt es darauf an, die neu eröffneten Freiräume mit sinnvollen Projekten auszufüllen, damit sie nach der für 2019 angekündigten Evaluierung nicht gleich wieder kassiert werden ...
Nicht durchsetzen konnten wir uns bei der Gesetzesberatung im Parlament mit unserem Vorschlag, im Maßnahmenkatalog der Kinoförderung Projekte zum Aufbau und zur Pflege eines speziellen Dokumentarfilm-Publikums gezielt zu unterstützen. Dass derartige Maßnahmen nicht förderungsfähig sind, ist eigentlich unlogisch – werden Projekte zur Pflege des Kinderfilms und des Kurzfilms doch schon seit Jahren ganz selbstverständlich von der FFA unterstützt.
Insgesamt gesehen dominieren die Interessen der Kinowirtschaft und die der anderen Verwerter das neue Gesetz: so hat weder der mehrfach geforderte Erlöskorridor zu Gunsten der Filmhersteller noch die von uns angeregte Streichung der Eigenanteils-Regelung Eingang in die Novellierung gefunden, und auch die Besetzung der Vergabekommission bleibt – trotz einer Nachbesserung durch den Kulturausschuss – immer noch stark verwerterlastig.