
AG DOK - Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm e.V.
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Dokumentarfilm auf schönem Wasser
Bericht zur Filmklausur der "Inselfilmer" 2025
vom 21.10.2025
Von Donnerstag 25. bis Sonntag 28.im September trafen sich Filmfanatiker im Kloster der Benediktinerinnen auf der legendären Insel Frauenchiemsee zur Filmklausur: eine Tradition der bayerischen AGDOK schon zum 24. Mal. Und zeigten 12 eigene Dokumentarfilme. Fertige Werke und solche im Prozess des Werdens.
So fanden sich 15 Filmschaffende aus ganz Deutschland ein, und stellten ihren synchronisierten Focus auf die mitgebrachten Werke und das schon altehrwürdig verfasste Ritual des „Murmelgerichts“ ein. Und wie immer hier:
offen betrachtet und konkurrenzlos fair diskutiert. Zum Beistand, Rat und Ziel eigener Verfeinerung. Leider unter Mangel gleich mehrerer weiblicher Teilnehmerinnen, die kurz vor der Insel-Veranstaltung unglücklicherweise absagen mussten.
Im Frieden der Klostermauern wurden Herzstücke im verschworenen Kreis der Filmschaffenden diesmal konträr und doch etwas weniger scharf, als in den Vorjahren diskutiert - was auch an der gelassenen und bestimmten Art des Moderators, Kai von Westermann, gelegen haben mag.
Man spendete also herzlichen Applaus für jeden Beitrag und suchte dann Ursachen, Mittel, Wege und Wirkung der gezeigten Werke nach jeder Vorführung zu ergründen. Aber weiter auch im Rhythmus der Speisen und in den Biergärten bei täglich schönerem, spätsommerlichem Wetter kreisten die Gespräche um die kreative Arbeit am Film und Chancen als Einzelhändler in jener industriell verwachsenen Fernsehlandschaft.
Am Donnerstag ging es gleich in medias res, bei Reinhold Rühls Dokumentation über Menschen, die nicht “Loslassen” können, in deren Wohnungen sich Dinge turmhoch stapeln und alles überwuchern. Die feine Betrachtung menschlichen Mülls hebt sich wohltuend ab von der Welle reißerischer Beiträge zu ähnlichen Themen. Reinhold begleitet Betroffene, zeigt Hilfsangebote und den erlösenden Moment der Überwindung. Anerkennung fand auch seine Kamera, welche der seelischen Leere der Betroffenen Raum gab und dem Zuschauer tiefe Einblicke in ihr soziales Umfeld gewährt.
Dann folgte eine kleine Perle. “Kamogawa” von Rainer Komers umschreibt in leichten aber hypnotischen Bildern eine Brücke und die Menschen, die sich dort aufhalten. Die Stärke der Bilder bedarf keines Dialoges, die perlend erzählnedne Soundscapes sprechen für sich und elegant umschreibt der kluge Schnitt Rainers Durchdringung des eigenen Bildmaterials.
Als letzter Film am Eröffnungstag lief „Nur Mut - Von Psychokrisen + Seelentänzen“ von Horst Herz. Die anrührende Episodenarbeit im Dokumentarstil der 80er Jahre zeigt Menschen in verschiedenen Stadien von Depression, und wie (unter anderem) Kunstprojekte Betroffenen helfen, wieder Fuss zu fassen. Ist Selbstheilung möglich? fragt sich Horst in dem er behutsam sieben Protagonisten ihren Weg beschreiben lässt, sich mit eigener Kraft von psychischen Erkrankungen zu befreien. Wie sehr gerade die Beschäftigung mit Kunst dabei helfen kann, zeigt sich besonders im Fall eines Malers, der seine Lebenswelt in hintergründige Bilder fasst. Gelobt wurde unter uns Kollegen vor allem jenes deutlich spürbare und mit Geduld und Mühe nur langsam aufgebaute Vertrauen zwischen dem Autor und seinen Protagonisten.
Zu Freitag Vormittag gab es - gleichsam als Nachschlag zum selbstgestalteten Frühstück in der Klosterküche -den Pitch “Masters of Coffee”. In werbewirksamen Bildern führt Luca Sierman von der Hochland-Kaffeefarm in Indien bis zum Röster und Barista in Hamburg. Zu dem Film, als erste Folge für ein Serienprodukt für das Netz geplant, gab es Anregungen bezüglich einer stärkeren Dramaturgie. Das fehlen einer klaren und vorausschauenden Reihenkonzeption wurde bemängelt und der Unterschied zwischen „Dokumentation“ und „Dokumentarfilm“ wurde wiederholt postuliert und differenziert besprochen.
“Ride and Riff” von Gregor Mahringer nahm die Filmer in den Klostermauern mit auf bewegtes, ungewohnt neues Terrain: ein Interview gedreht vom Sattel eines Fahrrades aus! Die rasende Arbeit begeisterte auf vielfältigste Weise, nicht zuletzt durch die klare Tonqualität und den geschickten Schnitt der Bilder einer einzigen(!) „GoPro“ Kamera. Souverän bediente Gregor die gesamte Technik, während er selbst neben einem Extremsportler herfahrend das Interview führte.
Von Peter Heller, Vorjahressieger, kam nach der Mittagspause ein Doublefeature.
Der kurze Magazinbeitrag ( „Kulturwelt“) “Invasion - Joseph Koudelka” baut auf einem Interview mit dem berühmten „Magnum“-Photographen auf, anhand seiner Bilder wird der Einmarsch sowjetischer Panzer in Prager Frühling besprochen. Dazu zeigte Heller seinen Film“Verbotener Frühling“ eine Auftragsarbeit für das Fernsehen zum Jahrestag der Invasion. Die Ereignisse im August 1968 bei dem militärischen Überfall in die friedliche alte Stadt Prag aus ungewohnten und teils überraschenden Perspektiven – da ergab sich eine offene Debatte über das Diktat im Namen der Zuschauer und den Formzwang bei Fernseh-Formaten Natürlich wurde dann im Anschluss auch unsere eigene Gegenwart -mit Bezug auf Ukrainekrieg und Repression in der Türkei angesprochen.
In der Spätvorführung schließlich gab es dann den meditativen Langfilm “Miyama, Kyoto Prefecture” von Rainer Komers zu sehen. In einem Japanischen Dorf lebt ein alternder deutscher Zirkusartist ein einfaches Leben. Protagonist und Kamera bezauberten das Publikum, und im Anschuss erläuterte Komers auch seine Vor- und Aufbereitung – die eigene Methodologie. In diesem harmonischen Gesamtkunstwerk wurde besonders die dramatische Spannung im Detail gelobt. Volle Anerkennung dafür wie Rainer nicht nur den großen Bogen schlägt, vielmehr auch in jeder einzelnen Szene sorgsam strukturiert, konstruktiv aufbaut.
Während am Samstag „Boat-People“ -Touristenmassen aus den Dampfern der Chiemseeflotte vom Festland aus an die Klostermauern brandeten, ging es hinter selbigen auf eine sentimentale Reise in die Vergangenheit. Matti Bauer zeigte einen ersten Entwurf seiner “Araguaia Diaries”, einem essayistisch gebauten-biopic des Autors. An dem Versuch, seine eigene Vergangenheit als Antropologiestudent im Amazonasgebiet Brasiliens filmisch aufzuarbeiten, überzeugten vor allem die schonungslose Ehrlichkeit seiner Reflexion, wie auch die Projekt-Genesis selbst: Ein Rückblick auf 40 Jahre in eigene, verträumte Vergangenheit. Vom “Going wild” des Ethnologiestudenten der 80er Jahre zur Selbstbetrachtung heute. Wir erwarten am Ende eine gelungene Filmreise, full circle.
Im Anschluss zeigte Reinhold Rühl, diesmal in Anwesenheit seines Kameramanns Ralf Leistl, den frischen Rohschnitt seines Musikfilms “Bergmusik”. Bei dem Versuch, eine jährlich stattfindende Jam-Session filmisch zu fassen, war die Musik selbst wohl schön und auch die Kameraarbeit solide, dennoch wurde in der Diskussion klar, dass hier selbst für einen „reinen“ Musikfilm die Struktursuche noch vorangetrieben werden muss, damit dieser Film eine eigenständige Form findet, die sich dann abheben kann vom typischen BR-Schema zu diesem Thema. Endlich kam auch das Thema der „GEMA“ Musik- Rechte zur Sprache.
Andi Stiglmayr zeigte 3 Klammerteile, Kamera-Szenen, Interviews aus seinem Work in Progress “Der Widerstand in mir!”. Die ersten Schritte: das rohe Material bestand aus Aufnahmen seiner Verwandten, die sich an die NS-Zeit und an Widerstand erinnern. Idee und Protagonisten wurden gelobt, dann folgte eine kollektive Suche mit Anregungen zur Weiterentwicklung des Rohstoffs. Auf eine Bewertung im gemeinsamen üblichen „Murmelgericht“ wurde ganz verzichtet.
Von Thomas Deubner kam eine feine Filmarbeit, deren Form und Ausführung ganz dem Thema entspricht: “Das erste improvisierte Streichorchester” wird in fließenden Einstellungen begleitet und macht es auch mit gutem Schnitt leicht, sich in dieses chaotische Gesamtkunstwerk der MusikerInnen hineingleiten zu lassen, von ihm geradezu mitgerissen zu werden.
Der samstägliche Filmmarathon wurde durch KP Kargers Film “Die treibende Kraft” abgeschlossen. Ein gelungenes Porträt einer lokalen Künstlerin und ihrer Entwicklung über einen längeren Zeitraum hinweg. Wie bereits mehrfach entzündete sich an Kargers selbstfinanziertem Film die Debatte um Vertriebsmöglichkeiten für den Dokumentarfilm. In den Achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gäbe es dazu Vorbilder: Peter Heller berichtete kurz am Beispiel der „Verleihgenossenschaft der Filmemacher“ wie damals Filmkollektive gemeinsam den Filmvertrieb über ein Jahrzehnt in die eigenen Hände genommen hatten.
Bevor es dann am Sonntag zur Verleihung der begehrten Inselprämie, der „Güldenen Renke“ ging, gab es noch einen kurzen Nachschlag vom agilen Radlfan Gregor Mahringer. Einen kurzweiligen „Familien-Film“ einer Fahradtour die Gregor filmend ganz flott und lebendig mit seiner kleinen Tochter zeigte.
Harald Rumpf zeigte dann noch Miniaturen, Einzeltakes aus der “Hood/ Harlem&Munich”. Diese Szenen aus seiner filmischen Vergangenheit entbehrten leider eines erkennbaren Zusammenhangs.
Eine der Hauptquellen des Dokumentarfilms zeigte sich dieses Jahr besonders stark in den sehr persönlichen Arbeiten etwa von Kager, Matti Bauer oder Andi Stiglmayr: der ureigene Drang, sehr „persönliche“ Projekte zu realisieren, „die man, wenn es nach den Gesetzen des Marktes ginge, gar nicht machen darf“ (Karger). Dass gerade dieser Antrieb für ehrliche und mutige Filme sorgt, bescherte Matti Bauer die Güldene Renke, den Preis für den besten Film für seine selbstkritische Reflexion “Araguaia Diaries”. Teilen durfte er sich selbigen mit „Altmeister“ Rainer Komers, dessen “Miyama, Kyoto Prefecture” ebenso viele Stimmen auf sich ziehen konnte..
Text: Andreas Schoyerer